Ik voelde me hier thuis – Meine Zeit in den Niederlanden

Veröffentlicht am 20. Februar 2022 von Hugo Schmidt

Fünf Monate lang die Möglichkeit zu haben, einfach nach Amsterdam, Den Haag oder Rotterdam fahren zu können, war eine beeindruckende Erfahrung. In fünf Monaten habe ich ein Land kennenlernen dürfen, von dem ich dachte, es bereits zu kennen. Doch es ist so viel mehr als der kindliche Eindruck von weiten Stränden und kleinen Gassen. In meinem Auslandssemester an der Universität Utrecht in den Niederlanden durfte ich außerdem viele großartige und interessante Menschen kennlernen.


Ende August 2021 bin ich mit bestimmten Erwartungen nach Utrecht gegangen. Ich war aufgeregt und gespannt zugleich. Die Stadt kannte ich nicht und hatte an sie, um ehrlich zu sein, auch keine großen Erwartungen. Doch war ich nach meiner Ankunft sehr überrascht. Von Tag zu Tag lernte ich die Stadt besser kennen und mit den Wochen auch immer mehr lieben. Mit 350.000 Einwohnern ist Utrecht die viertgrößte Stadt in den Niederlanden. In meinen Augen ist die Provinzhauptstadt eine perfekte Mischung aus großstädtischer Internationalität und beschaulicher Gemütlichkeit.


Ein Auslandssemester war für mich jedoch nicht immer etwas Selbstverständliches. Als Mensch mit Behinderung gibt es, hier und da, immer wieder größere und kleinere Hürden, die es entweder zu „überwinden“ oder zu umschiffen gilt. Ich musste zum Beispiel eine passende Wohnmöglichkeit finden, da ich mit meinem medizinischen Verbrauchsmaterial nicht in eine 10 Quadratmeter Kammer ziehen konnte. Glücklicherweise zeigte sich die Universität hier sehr offen und hilfsbereit. Ein anderes Problem erscheint auf den ersten Blick vielleicht klischeebehaftet, aber es ist in jedem Falle nicht zu unterschätzen. Aufgrund meiner Behinderung kann ich kein Fahrrad fahren, was im Alltag in den Niederlanden etwas mehr ins Gewicht fällt als in Deutschland. Glücklicherweise ist der öffentliche Nahverkehr in den Niederlanden neben der Fahrradinfrastruktur ebenfalls sehr gut ausgebaut, sodass es für mich nicht zum Nachteil wurde, nicht „fietsen“ zu können.


Als Erasmus-Student bewegt man sich oft in einer sehr interanationalen Blase und hat wenig bis gar keinen Kontakt zu „einheimischen“ Studierenden. In den Kursen, die ich belegt hatte, waren jedoch glücklicherweise oftmals über die Hälfte der Studierenden Niederländer*innen. Zwar findet die Lehre fast vollständig auf Englisch statt, doch konnte ich ab und zu mein holpriges Niederländisch verbessern oder es wenigstens nicht ganz verlernen. Neben der Sprache lernte ich so auch das Land durch die „plaatselijke bevolking“ ganz anders und viel besser kennen.


In dem Semester hatte ich unter anderem Kurse über die niederländische Geschichte und Kunstgeschichte belegt und dort sehr spannende und großartige Menschen kenngelernt. Gemeinsam besichtigten wir Museen, spazierten durch Amsterdam oder gingen abends was trinken. Durch die vielen verschiedenen Hintergründe meiner Kommiliton*innen bekam ich in der Zeit immer wieder neue spannende Perspektiven und bereichernde Einblicke.


Zusammen mit Kommiliton*innen fuhren wir am Prinjesdag nach Den Haag. An diesem dritten Dienstag im September wird traditionell das niederländische Parlament durch den König eröffnet. Eine Gelegenheit, die ich mir nicht entgehen ließ und zum ersten Mal einen kurzen Blick auf den König und die Königin erhaschte. Diese erste Sichtung der Majestäten entpuppte sich jedoch als überraschend unspektakulär. Davon nicht abgeschreckt, motiviert durch mein unerklärliches Interesse und die kindliche Neugier, die ich noch stets aufrechterhalte, folgten in den Monaten noch ein paar weitere Besuche von königlichen Terminen.


Die Möglichkeit spontan und unter einer Stunde in die Metropole Amsterdam zu fahren, war für mich, als Mensch mit Behinderung, nicht selbstverständlich. Die Freiheit, einfach das Rijksmuseum in Amsterdam zu besuchen oder durch Den Haag zu spazieren, war für mich neu. Nicht nur war sie neu nach 13 Monaten strenger Pandemie-Isolation – sie war auch neu, da ich diese Ausflüge ohne mein übliches medizinisches Übernachtungsgepäck machen konnte, da Utrecht eine so zentrale Lage in den Niederlanden einnimmt.


Die Zeit in den Niederlanden war nicht allein geprägt durch Sichtungen von Königen und Prinzessinnen und es waren auch nicht allein die vielen Museumsbesuche, die meine Zeit so besonders gemacht haben. Vielmehr waren es kleine Erlebnisse in originellen Buchläden oder entstehende Freundschaften mit Kommiliton*innen, die die fünf Monate in Utrecht für mich so unvergesslich gemacht haben. Am Ende meines Auslandssemesters in den Niederlanden fühlte ich mich in Utrecht, die Stadt, die mir am Anfang meiner Zeit völlig fremd war, „thuis“ - zuhause. Der Abschied fiel mir nicht leicht und ich bin mir sicher, diese für mich so wichtige Stadt noch häufiger zu besuchen.